Samstag, 6. Februar 2016

Der postheroische Mann und andere Verlustanzeigen

Die Masse macht’s. Selten ist der Einzelne das Problem, ob er nun Kriegsflüchtling ist oder sich ein besseres Leben wünscht.

In der Silvesternacht aber hat sich in Köln, Hamburg und anderswo das Mitleid mit dem Einzelnen in die Furcht vor der Überwältigung aufgelöst. Ob es nun tausend oder weniger junge Männer aus einem anderen Kulturkreis waren, die sich als frauenfeindlicher gewalttätiger Mob erwiesen: ihre zumeist einheimischen Opfer waren in der Minderzahl.
Besonders unsichtbar aber scheinen die Männer gewesen zu sein, die nicht zu den Belästigern gehörten. Wo waren sie in dieser Nacht? Bei den Facebookfreunden erhielt ich verblüffende Antworten. Es seien in der Silvesternacht viele Frauen allein oder mit anderen Frauen unterwegs, ob ich etwas dagegen hätte? Ob ich verlangte, dass Frauen künftig nur noch in Begleitung von Männern ausgehen (dürfen)?

Was war nochmal die Frage gewesen?

Die Erfahrung lehrt doch, dass auch Männer in Silvesternächten unterwegs sind, oft, wenn auch nicht immer, in weiblicher Begleitung. Was taten sie? Wie reagierten sie? Wie erging es ihnen, wie erlebten sie die Phalanx aggressiver junger Männer?

Ein, zwei, drei Freunde verstanden irgendwann. „Weicheier“, kommentierten kampferprobte Veteranen, mitleidige Frauen aber verteidigten die Männer: es hätte, glaubten sie, gewiss Märtyrer erzeugt, hätten sich die männlichen Begleiter zum Schutz ihrer Frauen einer aggressiven Übermacht ausgeliefert. Gut möglich. Der einzige Mann, von dem wir hinreichend wissen, hinter dem verzweifelte Frauen Schutz fanden und der sich zu wehren verstand, war kein Polizist, sondern Türsteher vor einem Hotel am Kölner Bahnhofsvorplatz. Der Held des Abends: ein gebürtiger Kroate.

Ist es also unfair, die Frage nach dem westeuropäischen, insbesondere deutschen Mann zu stellen?

Nun, er ist ja schon längst infragegestellt, lange vor den Attacken jener fröhlichen Molestierer der Silvesternacht. Nach allem, was man über sie weiß, sind wohl die meisten von ihnen mit jener „giftigen Mischung aus Religion und Kultur“ aufgewachsen, die Nordafrika und die arabische Welt prägt. Die jungen Männer zwischen 17 und 30 Jahren, Marokkaner, Afghanen, Iraker und Syrer werden unter den Verdächtigen genannt, sind mit großer Wahrscheinlichkeit Gewalt gewohnt und haben ein klares Frauenbild: Frauen gelten wenig – oder gar nichts, wenn sie ungläubige „Schlampen“ sind. Entsprechend klar ist das Männerbild: ein Mann hat dafür zu sorgen, dass Mutter, Schwester, Verlobte oder Ehefrau „rein“ bleiben. Wer diese Frauen entehrt, hat sich also an der Ehre des Mannes vergriffen, der „seine“ Frauen nicht hat schützen können.

Aus dieser Perspektive sind zu Silvester nicht vor allem die Frauen, sondern zahllose Männer entehrt worden, nicht zuletzt die deutsche Polizei. Offene Grenzen und offene Arme, Hilfsbereitschaft und „Refugees Welcome“ sind, mit den Augen islamisch geprägter junger Herrenmenschen gesehen, kein Zeichen der moralischen Stärke, sondern der Schwäche des Westens, der beständig die Kehle hinhält und sich als reife Beute andient.

Der moderne Metropolenmann, könnte man schließen, wird auf seinem eigenen Territorium mit einer archaisch anmutenden Männlichkeit konfrontiert, der er nichts entgegenzusetzen hat. Was Wunder, er lebt seit Jahrzehnten in einer gänzlich anderen Welt. Der postheroische Mann kann mit „Ehre“ wenig anfangen, und auf die Idee, Frauen als schutzbedürftig anzusehen, kommt er schon lange nicht mehr. „Sisters are doing it for themselves“. Ja, die Männer in Westeuropa haben sich in den letzten Jahren als überaus lernfähig erwiesen.

Die Jüngeren sind die friedfertige Generation, kennen keinen Krieg und selten Gewalt, haben sich als Einzelkind gegen konkurrierende Geschwister nicht durchsetzen müssen, leben geborgen im Hotel Mama. Eigentlich ist es unfair, sie dafür als Weicheier zu beschimpfen.

Sollen sie nun wieder auf „stark und beschützend“ lernen und sich für die Rolle des benevolent, aber mit harter Hand herrschenden Patriarchaten ertüchtigen, damit kein dahergelaufener Marokkaner ihre Frauen „antanzen“ kann?

Das wird nichts. Doch es kann nichts schaden, wenn sie sich auf härtere Zeiten einstellen.

Zu allen Zeiten und in allen Kulturen hatten Gesellschaften ein Problem mit ihren „überschüssigen“ jungen Männern, mit den jüngeren Söhnen, die keine Machtposition in der Familie einnehmen konnten, die nicht heiraten und keinen eigenen Hausstand gründen durften, die beim Klerus keine Sinekure bekamen, kurz: die keine Bindung, keine Beschäftigung, keinen Platz fanden. Genau das trifft heute auf eine Vielzahl der nach Europa einwandernden jungen Männer zu. Bezogen auf die gesamte Bevölkerungszahl etwa Deutschlands mag eine millionenfache Einwanderung noch kein Problem sein. Bezogen auf die entsprechende Alterskohorte der 17-30jährigen Männer sieht das schon anders aus. Kritisch wird es insbesondere, wenn man das bislang ausgewogene Verhältnis zwischen jungen Männern und jungen Frauen betrachtet, das in der Tendenz zuungunsten der Frauen ausgeht. Eine kritische Masse unbeschäftigter junger Männer in Konkurrenz um knappe Güter wie Frauen und Arbeitsplätze aber ist keine angenehme Vorstellung.

Doch aus dem traditionell und islamisch geprägten Kulturraum kommen nicht nur fremde Vorstellungen von männlichen und weiblichen Rollen zu uns, sondern auch eine völlig andere Wertschätzung der Familie.

In paternalistischen Strukturen bedeutet der Familienverbund alles, das Individuum wenig. Die christliche Definition von Ehe und Familie aber richtete sich auf die Entmachtung der Familienclans. Bis zum 7. Jahrhundert setzte die christliche Kirche in Europa erfolgreich Heiratsverbote durch (etwa unter Vettern und Kusinen), schaffte die uralte Tradition der Adoption zur Sicherung einer legitimen Erbfolge ab und schränkte generell familiäre Strategien zur Besitzakkumulation ein. Manche sehen die Kirche sogar als Vorkämpferin des Individualismus, weil sie die Gattenehe aufgrund gegenseitiger Zuneigung präferierte anstelle der nur der Familie und deren Machtsicherung durch Bündnispolitik dienenden Zwangsehe.

Dennoch ist auch die „bürgerliche Kleinfamilie“ ein Schutzraum des Privaten gegen den Zugriff von Kirche und Staat. Und ja: es gibt sie noch, allen Unkenrufen zum Trotz. Glücklicherweise. Sie ist der zähen Hierarchie und den Unterdrückungsverhältnissen in einer traditionellen Großfamilie allemal vorzuziehen. Die ist, da muss man nicht auf kriminelle libanesische Clans verweisen, Keimzelle autonomer Parallelgesellschaften und in ihrer islamisch geprägten Fassung mit eigenen Rechtsvorstellungen eine ernsthafte Konkurrenz zum Gewaltmonopol des Staates. Viele junge Zuwanderer bringen zudem die Verachtung des Staates und seiner Institutionen mit, den sie oft nur als korrupte Diktatur kennengelernt haben.

In seiner in Deutschland vorherrschenden Form als Nanny- und Steuerstaat aber ist der Staat offenbar vor allem damit beschäftigt, die weit weniger gefährliche Privatorganisation namens bürgerliche Kleinfamilie auszuhebeln. Der Sozialstaat hat die Familie von Bindungen und Verbindlichkeiten über die Generationen hinweg zwar entlastet, doch damit zugleich entmachtet. Er beansprucht längst nicht mehr nur die „Lufthoheit über den Kinderbetten“. Auch Vorstöße zur verschärften Besteuerung von Erbschaften zielen auf die Loslösung des Individuums aus dem generationellen Zusammenhang der Familie. Der Genderquatsch, der, was normal ist – nämlich Vater, Mutter, Kind – zur bloßen Norm erklärt, erledigt den Rest. Der Bürger soll sich als reines Individuum in unmittelbarer Staatsabhängigkeit wohl fühlen, frei von allen Bindungen, ohne Vergangenheit und Zukunft, in reiner Gegenwart.

Sollte es zwischen dem staatsabhängigen Individuum und der Unterordnung im Clan wirklich nichts anderes geben?

Nicht nur wir Frauen, auch der „neue Mann“ und die mitteleuropäische Kleinfamilie sind in einer schwachen Position bei anhaltender massenhafter Zuwanderung in Parallelwelten. Hoffen wir, dass es nicht um Kampf, sondern bloß um eine Konkurrenz von Lebensweisen geht, in der noch nichts entschieden ist.

Es schadet derweil nicht, darüber nachzudenken, wie überlebensfähig unserer hart erkämpfter und mittlerweile gewohnter Lebensstil ist, auf den ich ungern verzichten würde – und wie attraktiv er auf Dauer für Zuwanderer sein kann, die seine Vorzüge erst schätzen lernen müssen. Die Individualisierung hat Europa Freiheit und Kreativität beschert. Das sollte so bleiben.

Die Bürger Europas haben längst begriffen, was insbesondere die deutsche Regierung (noch) nicht einsehen mag: Massenhafte Einwanderung von Menschen mit gegensätzlichem kulturellen Hintergrund ist heute und auf längere Sicht sozialer Sprengstoff.

Zuerst in: NZZ, 1. Februar 2016



1 Kommentar:

  1. Nach bestimmten Kreisen können Frauen alles besser, Männer sind sowieso nur Schweine, also welche Ehre sollte man da verletzen können?

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