Montag, 15. Juni 2015

Ehe für alle? Warum eigentlich? Teil 2

Wird "Ehe für alle" die Verhältnisse zum Tanzen bringen? Werden demnächst Geschwister heiraten? Wird sich die Vielweiberei durchsetzen?

Mag sein, dass solche angstvolle Visionen übertrieben sind. Und doch ist die Furcht, „Ehe für alle“ bedeute eine Erosion des Fundaments der Gesellschaft, nicht gänzlich unberechtigt. Es ist der Generationenzusammenhang, der auf dem Spiel steht.

Kleiner Ausflug in die Vergangenheit. Die Ehe setzte sich in Europa nicht durch, weil die Kirche das wünschte, sondern erst, als weltliche Interessen sich des kirchlichen Segens versichern wollten. Ab dem 11. Jahrhundert legten adlige und bäuerliche Familien verstärkten Wert auf eine geregelte Nachfolge, denn der Besitz sollte unvermindert vererbt und dem Zugriff räuberischer Verwandter entzogen werden. Mit der Einführung von Familiennamen und der formellen Eheschließung entstand Herkunft im Dienste der Zukunft: so sollte sichergestellt werden, dass der Erbanspruch folgender Generationen als legitim anerkannt wurde.

Die Ehe hatte also mit Eigentum, Erbfolge und Familie im Sinne eines generationenübergreifenden Zusammenhangs zu tun. Erben konnte nur der Älteste, für seine Brüder blieben Klerus und Soldatentum. Die Frauen durften oder mussten heiraten: Ehe unter Angehörigen mächtiger Familien vergrößerte deren Macht.
Eine „Ehe für alle“ gab es auch in den folgenden Jahrhunderten nie. Ein Mann durfte lange Zeit nur heiraten, sofern er in der Lage war, einen eigenen Hausstand zu begründen. Handwerksgesellen bedienten sich der Möglichkeit, nach dem Ableben des Meisters dessen Witwe zu ehelichen. Ehe erhöhte den gesellschaftlichen Status, war also überaus erstrebenswert; Liebe war möglich, aber nicht nötig, und „bis dass der Tod euch scheidet“ erschien angesichts damaliger Sterblichkeit nicht als Zumutung. Auch die sexuelle Neigung der Eheleute war von geringer Bedeutung, Hauptsache, es wurden Nachkommen geboren – auf welche Weise auch immer.

Der Siegeszug der Liebesheirat ist noch nicht einmal zweihundert Jahre alt und hat sich global im übrigen keineswegs schon durchgesetzt.

Doch der historische Sinn der Ehe schwindet hierzulande nicht nur dank des Primats der Liebe und des offenbar unaufhaltsamen Trends zur „Ehe für alle“. Auch die Vorstellung vom Familienerbe hat sich verändert: nicht nur, aber vor allem seit dem blutigen 20. Jahrhundert mit Flucht, Vertreibung und Enteignung. Besitz, der über viele Generationen hinweg weitergegeben wurde, der Familie konstituierte, ging verloren, das Band zwischen Herkunft und Zukunft wurde fragiler. Das allerdings kündigte sich bereits mit dem Bedeutungsverlust bäuerlichen Grundeigentums seit der Jahrhundertwende an. Nicht die Landbevölkerung, sondern städtisches Bürgertum und Proletariat obsiegten. (Zum ganzen Stolz eines Arbeiterhaushalts gehörte im übrigen, wenn die Frau nicht arbeiten musste.)
Kleine Abschweifung: „die“ Griechen, heißt es, hätten die Demokratie erfunden. Doch wenn man genauer hinschaut, ist es die bäuerliche Kultur um 700 bis 500 vor unserer Zeitrechnung, in der sie entstand – als die griechische Polis ihre Basis in autonomen Landbesitzern hatte. Im konservativen Denken aber verbindet, frei nach Edmund Burke, Grundbesitz Herkunft und Zukunft in einer generationenbezogenen Gemeinschaft.

Was das mit der Ehe für Alle zu tun hat? Genau: nichts. In konservativer Lesart ist die „Ehe für alle“ ein Angriff auf das über Generationen bewahrte Erbe. Liberal Denkende sehen darin hingegen den bloßen Vollzug des eh Vonstattengehenden: kaum einer baut noch ein Haus, das man Familiensitz nennen könnte – insbesondere Angehörige einer Generation, die noch erfahren haben, wie schnell sich Erbe erledigt, wenn Krieg und Sozialismus zusammenwirken. Erhöhte Mobilität entwertet im übrigen ortsgebundenen Besitz. „Eigenheime“ sehen heute genauso aus: wie jederzeit ablegbare Hüllen vorübergehender Gemeinsamkeit.
Kommt jetzt das Klagelied über die Atomisierung des Individuums? Natürlich nicht. Der Rechtsstaat und sein Gewaltmonopol entwickelten sich aus dem Sieg einer Zentralmacht über mächtige Familienclans. Und zu den segensreichen Folgen der Individualisierung zählt das, was in paternalistischen Stammesstrukturen fehlt: jeder kann sich seine Verdienste selbst zurechnen, niemand muss seinen Reichtum an die Familie abgeben – oder auch nur mit einer Ehefrau oder einem Ehemann teilen. In einer Meritokratie zählt nicht die Abstammung, sondern die eigene Leistung.

Dazu passt der immer wieder aufflammende Streit ums Erben und Vererben: Keinem, so lautet die geläufige Vorstellung, gebühre qua Geburt die Verfügung über ein womöglich über Jahrhunderte erarbeitetes und aufgehäuftes Vermögen. Beifällig wird dem Staat zugestanden, voll versteuertes Vermögen ein weiteres Mal zu besteuern – bis hin zur Gefährdung sogar des produktiven Eigentums von Familienbetrieben.

Mal abgesehen vom volkswirtschaftlichen Schaden, der damit in Kauf genommen wird: mit der Erbschaftssteuer greift der Steuerstaat im Namen von „Gleichheit und Gerechtigkeit“ in eine Enklave privater Solidarität ein und entmachtet einen Bereich, in dem er nichts zu sagen hat, weder als Arbeitgeber noch als Verteilungsagentur. Und das ist ganz und gar absichtsvoll: der Steuerstaat trachtet danach, Abhängigkeit zu schaffen. Wer sich also von der Macht der Familie befreit wähnte, sieht sich unversehens in den Fängen von Vater Staat und unter den Fittichen von Mutti Merkel.

Ist also die „Ehe für Alle“ nur das Wetterleuchten am Horizont?

Die vertraglich und kirchlich beglaubigte Ehe war einst nicht auf zwei Menschen und ihre Nachkommen ausgelegt, sondern auf das, was man heute Nachhaltigkeit nennt: auf den Zusammenhalt und die Mehrung des Besitzes über Generationen hinweg. Heute haben wir statt dessen einen Staat, der von Politikern gesteuert wird, die notgedrungen von Wahlperiode zu Wahlperiode denken, welche hierzulande gerade einmal vier Jahre dauert. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn der Staat sich darauf beschränkte, die Rahmenbedingungen für freie Bürger zu sichern, anstatt sich „Gestaltungsmacht“ anzumaßen. Nicht nur in Deutschland aber hätte es manch einer offenbar gern, wenn alle Wähler in der einen oder anderen Weise staatsabhängig wären.

Auf die Idee, dass die mangelnde Fortpflanzungsbereitschaft hierzulande auch damit zusammenhängen könnte, dass der Steuerstaat immer mehr in die Gestaltungsfreiheit der Bürger eingreift, kommt offenbar niemand mehr. „Kinder für alle“, also (auch mithilfe von Leihmüttern) für homosexuelle Paare, erhöht indes die Geburtenrate nur unwesentlich. Angesichts all des Getöses, was um die Ehe unter Gleichgeschlechtlichen gemacht wird, sollte man doch mal festhalten: sie ist und bleibt die Sache einer Minderheit.

Tatsächlich ist die „Ehe für alle“ ein Verfallsprodukt, das den Abschied von der Institution selbst einleitet. Denn warum soll man den Staat an rein privaten Entscheidungen teilhaben lassen? Das Nötige regelt die Vertragsfreiheit. Der Rest ist der Phantasie überlassen. Fragt sich dann nur noch, warum man das alles ausgerechnet „Ehe“ nennen muss.

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