Montag, 17. Juni 2013

Wer am Wasser baut

Volkserziehern ist jedes größere Naturereignis ein Menetekel, das vom nahenden Untergang kündet. Denn wird nicht alles immer schlimmer? Beweise spart man sich, es gibt ja den Augenschein: Wir haben es doch gesehen, im Fernsehen, gerade eben! Gewiss: die Prognose, dass wir in unseren Breiten keine kalten Winter mehr erleben werden, hat sich als falsch erwiesen. Den wahren Prognostiker aber schreckt das nicht: auch das passt notfalls ins Szenario, demzufolge es die Menschen zu bunt getrieben haben mit ihrem Tun, mit ihrer egoistischen Gier, die sie immer weiter und höher treibt.
Es steht ja schließlich schon in der Bibel. „Denn siehe, ich will eine Sintflut mit Wasser kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin ein lebendiger Odem ist, unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.“
Den „Antideutschen“, wie sich ein paar Vermummte nannten, die Deiche für zerstörenswert hielten, dürfte das aus dem Herzen gesprochen sein. Doch weder Gott noch die Flut ist selektiv, die jetzige riss nicht Deutsche, sondern vor allem Rehe und Kühe, Ratten und Hühner, Katzen und Hunde mit. Kann es sein, dass den anschwellenden Flüssen und Bächen menschliche Sünder völlig egal sind?

Lasst doch die Apokalyptik, möchte man nüchtern dazwischenrufen, die Lage ist schon schlimm genug. Im übrigen ist das Weltrettungspathos anmaßend. Es überschätzt die Menschen sowohl, was ihre Bosheit betrifft als auch ihre Fähigkeit, durch Einkehr die Dinge zum Guten zu wenden. Wenn man den Predigern lange genug zuhört, schnurrt Mutter Natur zum zahnlosen Mütterlein zusammen, das den Menschen braucht, um schadlos über die Straße zu kommen.

Es ist schon paradox: Die Überzeugung, dass die Menschen nicht nur Böses, sondern nachgerade den Weltuntergang bewirken könnten, entspricht ja fast spiegelbildlich der Hybris technikgläubiger Macher, die glauben, alle Naturgewalten bezähmen und beherrschen zu können. Wer sind wir denn, dass wir die Natur entweder schützen oder „bewältigen“ könnten? Tatsächlich rächt sich mit jeder Flutwelle der alte Machbarkeitswahn, unter dessen Imperativ man Flüsse begradigte und kanalisierte, um bebaubare Fläche zu gewinnen. Die aber nimmt sich der Fluss bei jeder Flut zurück. Schuld am Schaden ist nicht der Fluss und auch nicht irgendeine Klimakatastrophe, sondern das kurze Gedächtnis der Menschen.

Auch die jüngste Hochwasserkatastrophe enthält eine das menschliche Selbstbewusstsein nachhaltig kränkende Botschaft: So wichtig sind wir gar nicht. Die Natur nimmt uns weit weniger ernst als wir uns. Und deshalb müssen wir sie respektieren. Wer am Wasser baut, muss mit der Flut rechnen.
Was lehrt uns das? Demut, gewiss, angesichts der Gleichgültigkeit der Natur. Denn sie will uns gar nichts zeigen oder beweisen, sie verurteilt uns nicht, sie braucht auch keine Gebete und keine Buße, sie will gar nichts, außer tun, was ihr beliebt. Die einzige Strategie, die dagegen helfen könnte: Kluges Zurückweichen. Flüsse brauchen Raum, in dem sie sich verlaufen können. Das gilt bekanntlich für jeden Gegner, der in der Übermacht ist.
Und was lehrt die Flut uns noch? Dass es nicht stimmt, was uns die Ablasshändler nun schon so lange erzählen: dass die Menschen egoistisch sind, dass man sie zwingen und gängeln muss, damit sie das von den Moralwächtern für richtig Befundene tun. Menschen mögen unvernünftig sein. Und nicht immer bereit stehen, um die Welt zu retten. Aber sie helfen einander, wenn Not ist, das war schon immer so und das war auch diesmal der Fall.




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